Über die Wandertaube - von der häufigsten Vogelart bis zum Aussterben in unter 50 Jahren!

Liebe Leser,
die Wandertaube ist ein trauriges Beispiel dafür, wie schnell eine Art komplett ausgerottet werden kann. Sie bevölkerte einst die östlichen Wälder Nordamerikas und wanderte in riesigen Schwärmen umher, auf der Suche nach Nahrung und Brutplätzen (daher der Name). Man schätzt, dass sie im 18.Jhd. und noch im 19.Jhd. die weltweit häufigste Vogelart war mit drei bis fünf Milliarden Individuen! 1914 starb der allerletzte Vogel dieser Art in einem Zoo in Ohio! Wie konnte das passieren?

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https://www.artensterben.de/wandertaube/

Die Wandertaube (Ectopistes migratorius oder Columba migratoria) war eine relativ große Taube, die sich von Früchten und Bucheckern, Eicheln, Kastanien und anderen Nüssen ernährte, die es in den ausgedehnten Wäldern Nordamerikas reichlich gab. Dementsprechend riesig waren die Populationen. Die Wanderungen waren nicht saisonal wie bei Zugvögeln, sondern je nach Nahrungsangebot. Im Schwarm konnten sie mit hoher Präzision fliegen. Wenn etwa Greifvögel auftauchten, formten sie kompakte Wolken, die blitzartig ihre Richtung wechselten, um den Räuber zu verwirren und zu entkommen. Die Perfektion des Schwarmverhaltens trug massgeblich zum Ausbreitungserfolg bei. Wurde die Nahrung knapp, suchten sich die Wandertauben ein neues Gebiet. Aus heutiger Sicht waren die Beschreibungen der riesigen Schwärme komplett unglaubwürdig, aber über die Jahrhunderte waren die Schilderungen so zahlreich und übereinstimmend, dass sie nicht bezweifelt werden:

„Diese Vögel tauchten am Himmel in so dichten Schwärmen auf, dass die Sonne buchstäblich nicht mehr zu sehen war. Es wurde schummrig wie während einer Sonnenfinsternis, von Horizont zu Horizont sah man nichts als fliegende Tauben, Vogelmist fiel wie Schnee vom Himmel, und das pausenlose Rauschen der Flügel klang wie das Brausen des Sturmwindes. Stunden vergingen, doch immer noch flogen die Wandertauben, und das Ende des Schwarms war ebenso wenig zu erkennen wie sein Anfang.“

https://www.artensterben.de/wandertaube/

Das massenhafte Auftreten der Wandertauben stellte eine ziemliche Belastung für die Wälder dar, allein das Gewicht der Tauben brach oft Äste, auf denen sie dicht an dicht saßen, und ihr Kot zerstörte die Vegetation darunter. Der Verzehr der Nüsse erschöpfte die natürlichen Ressourcen der Wälder. Aber trotz all der verursachten Schäden spielten Wandertauben eine wichtige Rolle im Ökosystem, da sie durch das Freilegen von Bodenflächen zur Entstehung neuer Lebensräume für andere Arten beitrugen. Nach ihrem Aussterben hinterließen sie eine ökologische Lücke in den Wäldern des östlichen Nordamerikas, das natürliche Gleichgewicht wurde nachhaltig verändert und die Biodiversität ist seither zurückgegangen (das mag aber durchaus auch andere Gründe haben)!

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet (in rot die Brutgebiete):
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https://de.wikipedia.org/wiki/Wandertaube, CC BY-SA 1.0

Da sie auch Getreidefelder aufsuchten und eine Ernte in wenigen Stunden komplett vernichten konnten, wurden sie als Schädlinge angesehen und ausgiebig gejagt. Noch dazu schmeckte ihr Fleisch angeblich ganz gut! Schon die Indianer hatten sie gejagt, aber auf nachhaltige Weise - nur Tiere, die nicht mit der Aufzucht von Jungen beschäftigt waren. Die weißen Siedler dagegen nahmen darauf keine Rücksicht, im Gegenteil, sie schlugen zum Beispiel nachts mit langen Stöcken die Tiere aus ihren Nestern, räucherten sie mit Schwefeldämpfen aus oder fällten die Bäume einfach oder setzten sie in Brand, und tagsüber fingen sie mit riesigen Netzen zum Teil hunderttausend Tiere auf einmal, schossen sie ab oder schlugen niedrig fliegende Tiere mit Knüppeln aus den Schwärmen oder bewarfen sie mit Steinen. Hier der Bericht eines Ornithologen aus 1813:

„Die Menschen waren alle bewaffnet, und die Ufer des Ohio waren voller Männer und Jungen, die ununterbrochen auf die Wandertauben schossen, die beim Überqueren des Flusses tiefer flogen. So wurden unzählige Vögel getötet. Eine Woche oder länger ernährte sich die Bevölkerung von nichts anderem als Taubenfleisch und sprach über nichts anderes als Tauben.“

In der zweiten Hälfte des 19.Jhds. verschärfte sich die Taubenjagd dann dramatisch, ermöglicht durch neue technologischen Errungenschaften wie Eisenbahn und Telegrafie. Das Taubenfleisch war einfach zu bekommen und somit billige Nahrungsquelle für die wachsende Bevölkerung der Vereinigten Staaten und mit der Bahn wurde es tonnenweise in die Städte transportiert, nicht nur als Lebensmittel, sondern auch als Schweinefutter! Die Daunen und Federn wurden für Kissen und Steppdecken verwendet. Auch lebende Tiere waren beliebt - als Ziele für Schiesswettbewerbe! Beim sogenannten „Trap-Shooting“ wurden die Tauben aus Fallen freigelassen und die Teilnehmer versuchten, möglichst viele Vögel abzuschießen. Wir reden hier nicht von 10 oder 20 erlegten Tieren. Bei manchen dieser Wettbewerbe musste man über 10.000 Tauben abschiessen, um zu gewinnen! Das Fangen und Töten der Wandertauben war zu einer Industrie geworden, zu einem Beruf, die professionellen Taubenfänger wurden „pigeoners" genannt.

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MidJourney

Maßnahmen zum Schutz der Tiere gab es keine! Es gab zwar vereinzelt Versuche, aber noch 1857 hielt man den Schutz der Tiere für "nicht notwendig". Der zunehmende öffentlicher Protest insbesondere gegen die brutalen Jagdmethoden blieb wirkungslos. 1897 erst wurde z.B. in Michigan ein Gesetz verabschiedet, das das Fangen von Tauben innerhalb von 3km rund um Nistplätze verbot, aber es kam viel zu spät.

Denn natürlich hatte diese extreme Bejagung Auswirkungen auf die Bestände. Ab ca. 1870 wurde der Rückgang offensichtlich, doch die immer weniger werdenden Nistplätze wurden immer rigoroser bejagt, da die „pigeoners" nicht ihren zunächst lukrativen Beruf aufgeben wollten. In der letzten großen Brutkolonie in Michigan wurden 1878 bis zu 50000 Vögel täglich über fast fünf Monate hinweg erlegt. Der letzte große Schwarm wurde 1888 gesichtet. 1891 sollen nur noch etwa 250.000 Wandertauben übrig gewesen sein. Man hatte eine letzte große Ansammlung in Ohio gesichtet und dank der Telegraphie fanden sich schnell Jäger aus allen Landesteilen ein und töteten fast alle.
Danach waren Gruppen von mehr als hundert Vögeln bereits eine Seltenheit, und nach 1895 galten Sichtungen von nur zehn Tauben schon als außergewöhnlich. Vermutlich um 1905 starb das letzte Exemplar in freier Wildbahn und wie erwähnt 1914 das letzte lebende Exemplar in einem Zoo.
(Kuriosum am Rande: 1758 wurde die Art erstmals wissenschafltich beschrieben und ihr von Carl Linnaeus der Name Columba migratoria gegeben, seither wurden unterschiedliche Namen vergeben und erst 1955 wurde sie offiziell Ectopistes migratorius genannt. Die Wandertaube starb somit schneller aus, als man sich auf ihren Namen einigen konnte!)

Bis heute bleibt aber dieser rasante Einbruch teilweise rätselhaft angesichts der enormen Populationen nur wenige Jahrzehnte zuvor. Viele waren verblüfft über das plötzliche Verschwinden einer Spezies, von der man dachte, sie könne aufgrund ihrer Verbreitung gar nicht aussterben.
Und es scheint auch nicht nur die Bejagung gewesen zu sein, sondern auch der Verlust der Lebensräume durch systematische Abholzung der Wälder (für Landwirtschaft und Siedlungen), die das Überleben der Wandertaube zunehmend erschwerte. Von 1845 bis 1870 stieg die Anzahl der Einwohner der USA rasant von 20 auf 49 Millionen und das erforderte einen massiven Ausbau an agrarisch genutzten Flächen.

Man nimmt aber heute noch einen dritten Faktor an, der der Wandertaube zum Verhängnis wurde. Ihre Abhängigkeit von großen Schwärmen. Eine der Grundprämissen in der Populationsbiologie ist, dass wenn die Populationsgröße zunimmt, es zu Nahrungsmangel durch Konkurrenz innerhalb der gleichen Art um Futter bzw. Resourcen kommt, wodurch die Nachkommenzahl der einzelnen Individuen, i.e. ihre reproduktive "Fitness" kleiner und somit die Population auf natürlich Weise begrenzt wird. D.h. größere Populationen sind zunehmend weniger überlebensfähig als kleinere. Im Fall der Wandertaube war es aber umgekehrt! Dass eine Art besser gedeiht, wenn sie in Massen auftritt, wird als demographischer Allee-Effekt bezeichnet.
Ich hatte oben schon erwähnt, wie sie das Schwarmverhalten nutzten, um sich gegen Räuber zu wehren. Diese Strategie funktioniert nicht mehr, wenn die Schwärme zu klein sind. In diesem Fall sind die Tiere den Prädatoren schutzlos ausgeliefert. Dazu kam das Brutverhalten. Eine Wandertaube legte pro Brut (also einmal im Jahr) nur ein Ei, was paradox erscheint angesichts der riesigen Populationen. Es war möglich, weil es kaum natürliche Feinde gab und der Lebensraum riesig und nahezu unbegrenzt. Erst als der Mensch die Tiere massenhaft jagte und zusätzlich ihren Lebensraum zerstörte, erwies sich diese "Einkind-Strategie" als fatal und die Tauben konnte die Verluste mit dieser geringen Fortpflanzungsrate nicht mehr ausgleichen. Noch dazu schien es so zu sein, dass die Wandertaube als extrem sozial lebende Art stets dicht an dicht brütete, mit oft hunderten Nestern an einem Baum. Man nimmt an, dass unterhalb einer bestimmten Dichte die Tiere nicht mehr in Brutstimmung gerieten. Dafür spricht auch die Tatsache, dass es nicht mehr gelang, die Tiere in Gefangenschaft gezielt zu vermehren.

Mit der Wandertaube ist 1914 auch die Wandertaubenmilbe (Diplaegidia gladiator) ausgestorben, ein Parasit, der nur auf der Wandertaube vorkam. Es ist so gut wie nichts über sie bekannt. Die Taubenlaus (Columbicola extinctus), die auch die Wandertaube als Wirt genutzt hatte, galt lange Zeit als ausgestorben, bevor man dann herausfand, dass sich die Taubenlaus eine andere Taubenart als neuen Wirt gefunden hat. Die Wandertaubenmilbe ist ein Beispiel für eine Kettenreaktion, wenn also das Aussterben einer Art auch andere Arten betrifft und diese aussterben lässt.

Fast das gleiche Schicksal wie das der Wandertaube drohte auch dem Amerikanischen Bison (Bos bison oder Bison bison), auch Büffel (engl. buffalo) genannt. Seine Population wurde vor Ankunft der weißen Siedler auf 30 Mio. geschätzt und auch er wurde massiv bejagt bis knapp zur Ausrottung. Dem Yellowstone-Nationalpark, der 1872 als 1. Nationalpark der Welt gegründet wurde, ist es zu verdanken, dass es die Bisons heute noch gibt!

Ein aufwändiges Projekt will bis zum Jahr 2032 das Genom der Wandertaube rekonstruieren, aber es wird nicht nur vom WWF kritisch gesehen, schließlich ist der ursprüngliche Lebensraum der Wandertaube so gut wie nicht mehr vorhanden. Es wäre vermutlich viel sinnvoller, die Resourcen zu verwenden, bedrohte Lebensräume und Arten zu erhalten, bevor sie aussterben.

Quellen:
https://www.stern.de/panorama/wissen/natur/martha--vor-mehr-als-100-jahren-verstarb-die-letzte-wandertaube-34592332.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Wandertaube
https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/die-wandertaube-von-vogelschwaermen-zur-rueckzucht



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Immer wieder habe ich mich über die destruktive Energie des Menschen gewundert.
besonders auch am Beispiel der Büffel. Von vielen Millionen Exemplaren dieser mächtigen Tier blieben mit viel Glück einige wenige erhalten.
In anderen Fälle wie dem flugunfähigen großen Vogel Dodo (1m, 17kg!) auf Mauritius "gelang" die Auslöschung innerhalb von 100 Jahren komplett, sodaß er 100 jahre als Fabelwesen galt. Weltweit gibt es kein einziges vollständiges Skelett und nur wenige gemalte Bilder , die den Dodo zeigen.



ENGLISH
Time and again, I have been amazed at the destructive energy of humans.
especially the example of the buffalo. Out of many millions of specimens of this mighty animal, a few were lucky enough to survive.
In other cases, such as the flightless large bird Dodo (3,3 ft.,37 pound) on Mauritius, extinction “succeeded” completely within 100 years, so that it was considered a mythical creature for 100 years. There is not a single complete skeleton in the world and only a few painted pictures showing the Dodo.

Translated with DeepL.com

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Es gibt über 3000 Büffel in Western Kanada. Habe darüber ein separates Kommentar eingestellt. Es gibt aber auch einige Rancher die Büffel halten, sowie Hybriden: Beefalo https://de.wikipedia.org/wiki/Beefalo

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"Beefalo" - Wieder was gelernt! Sieht recht stämmig und robust aus das Tier.
Ich wette einem Steakliebhaber rinnt schon beim bloßen Anblick desselben das Wasser im Mund zusammen ! 🤠

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Über Büffel: du erwähnst Yellowstone, aber der größte Nationalpark besonders für Büffel befindet sich in Kanada - Wood Buffalo National Park. Ein Areal größer als die Schweiz, in den North-West Territories. Es gibt keine Straßen, deshalb auch kaum Touristen welche die Tiere stören könnten (wie in Yellowstone der Fall ist). Die einzigen die sich dort auskennen sind die Indianer: one einem Indianer-Guide kommt man dort nicht aus. Es ist auch der Brutplatz für die seltenen Whooping Cranes.
Selbst war ich einmal in Fort Smith, der 'Eingang' zu dem Park. Da erlebte ich was Kälte wirklich ist - war dort über Weihnachten in den Neunziger Jahren.
Mehr darüber: https://parks.canada.ca/pn-np/nt/woodbuffalo
Video von begeisterten Touristen:


Ja, manchmal verirren sich die Büffel über der Park Grenze auf die Straßen, doch meistens sind die Herden nicht so leicht zu finden - nochmal, über 3000 Büffel auf einem Areal größer als die Schweiz!


Übrigens, in der Nähe von Edmonton Alberta gibt es noch einen anderen Park wo ebenfalls Büffel zu Hause sind: Elk Island National Park
https://parks.canada.ca/pn-np/ab/elkisland
Elk Island Büffel

Weiters: Wölfe von den Kanadischen Parks wurden in die USA exportiert wo sie dort dann auch gleich von Ranchern abgeschossen werden. Doch in den Kanadischen Parks halten sie die Büffelherden genetisch stark indem sie kranke und schwache Tiere 'ausmustern'.

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